Udo Beyer - Reisebüro Udo Beyer GmbH in Potsdam

Udo Beyer - Der sanfte Riese

Udo Beyer

Udo Beyer ist vom schmucklosen 7,25-Kilo-Eisen des Sports beruflich zur Erdkugel gewechselt

Ein Vierteljahrhundert lang haben 7,25 Kilo schmuckloses Eisen das Leben Udo Beyers bestimmt.

Daß der Recke mit Kleiderschrank-Maßen in seiner Langzeit-Karriere, die von 1976 bis 1992 andauerte, verehrt, geschätzt, geliebt wurde, hat nicht allein mit den in den Statistiken nachzulesenden Ergebnissen zu tun. Beyer war und ist einer, den man mögen muß. Geradezu, herzlich, offen, unverstellt und ohne berechnendes Kalkül. Die Volksweisheit, die behauptet, Dicke seien gemütlich, trifft bei dem Herkules, von dem in einem Porträt zu lesen war, er habe "mehr Charakter im Gesicht als Katrin Krabbe, Heike Henkel und Michael Groß zusammen", ganz und gar ins Schwarze.

Geselligkeit, Spaß und Lebensfreude pur

Eine Gemütlichkeit, die sich an die Umgebung mitteilt. Udo Beyer, das sind 130 Kilo Geselligkeit, Lebensfreude und Spaß pur - in seinen Aktivenzeiten waren es mitunter sogar noch 20 mehr. Eigenschaften, die er heute in seinem Job gut gebrauchen kann. "Reisebüro Udo Beyer" steht draußen am tristen Neubau-Eintopf aus DDR-Zeiten im Potsdamer "Zentrum Ost". Drinnen ist es angenehmer, und der Chef läßt den grauen Beton-Charme vor der Tür schnell vergessen. Udo, der sanfte Riese, den viele für den weltbesten Kugelstoßer aller Zeiten halten, ist das geblieben, was ihn schon vor der Wende zum Sympathieträger im Osten gemacht hatte.

Die 40 hat er einstweilen überschritten, ein weiteres Jubiläum beging er im Sommer vergangenen Jahres am 24. Juli. Da lag es exakt zwei Jahrzehnte zurück, daß er in Montreal als 20jähriger sensationell olympisches Gold gewann und die Favoriten wie Weltrekordler Baryschnikow (UdSSR), den Briten Capes und die US-Amerikaner Feuerbach und Shmock düpierte.

1984 gute Miene zum bösen Spiel

"Ich weiß noch jede Kleinigkeit des Wettkampfes", sagt er. "Die Weiten in den einzelnen Versuchen, welche Kugel ich benutzt habe, welche Schuhe ich an hatte, was ich zwischen den Stößen getan habe. Aber das ist nichts Besonderes, sondern schlicht und einfach eine Macke von mir. Dasselbe könnte ich mit jedem größeren Wettkampf tun." Beyer hat nach Montreal noch dreimal Olympia erlebt - die Spiele 1984 in Los Angeles, bei denen sein zweites Gold für ihn geradezu reserviert schien, blieb ihm "auf Grund der politischen Großwetterlage" verwehrt, wie er ironisch anmerkt. Doch damals, da machte der NVA-Offizier und Kapitän der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft (zusammen mit Marlies Göhr) gute Miene zum bösen Spiel, zeigte sich hilflos "einsichtig". Verstehe, hat er gesagt, ist in die Kneipe gegangen und hat sich "die Birne vollgeknallt". Schwer sei es gewesen, danach weiterzumachen. "Aber aufhören, aufhören konnte man so doch erst recht nicht."

Nach Seoul 1988 hatte Beyer schon mal seine Karriere beendet, mit der Wende startete er ein Comeback, zu dem ihn Frau Rosi angestachelt hatte. "Das hatte mit Geld nur bedingt zu tun. Ich wollte die Jungen nochmal kitzeln und fühlte mich dafür stark genug. Es klingt vielleicht ein bißchen pathetisch und sentimental, aber ich liebe das Kugelstoßen." Wer sah, wie der Koloß den scheinbar winzigen Rundling in seine riesigen Pranken legte, wie er das kalte Metall an das unrasierte Kinn bugsierte, es drehte und wendete wie ein Kleinkind sein Lieblingskuscheltier, der glaubte es. "Wenn es anders wäre, hätte ich die paar Kilo Eisen längst in einer Ecke verrosten lassen und verschrottet", verkündet er. Als er sich als 37jähriger 1992 in Barcelona aus den Sportarenen verabschiedete, "da war das zwar nicht der Abschied, den ich mir vorgestellt habe, aber es blieb bei meinem Resümee, das ich nichts zu bereuen habe."

Dabei hatte Beyers sportliche Laufbahn als Handballer begonnen. Als 14jähriger - bereits 1,94 m groß - glänzte der Sproß einer Arbeiterfamilie (die Mutter Reinigungskraft, der Vater Heizungsmonteur), dessen fünf Geschwister (Bruder Hans-Georg war 1980 Handball-Olympiasieger, Schwester Gisela Diskus-Olympia-Vierte) allesamt sportlich veranlagt waren, als Torschütze vom Dienst in der Bezirksauswahl. "Da mußte ich mich schon strecken, um auch etwas vorweisen zu können", scherzt Beyer, der sich augenzwinkernd für Komplimente bedankt, fit wie eh und je zu wirken. "Das ist natürlich nicht so, mit der Kugel bekäme ich wohl bestenfalls noch 15 Meter zustande. Dreimal in der Woche gehe ich ins Fitneßstudio und gebe den Muskeln etwas Arbeit." Partner dabei ist häufig Peter-Michael Diestel, letzter DDR-Innenminister und heute Präsident von Fußball-Bundesligist Hansa Rostock. Bei einer Talkshow haben sich die beiden kennengelernt, sind Freunde geworden.

"Ich bin Hansa-Mitglied geworden, sehe mir, wenn irgend möglich, die Heimspiele an. Und Herr Diestel schafft einstweilen, von der Konkurrenz zu mir angetrieben, 200 Kilo im Bankdrücken", schildet Udo Beyer die Auswirkungen der Beziehung.

Werfer buchen bei ihm Trainingslager

An die 150 000 Mal hat er die Kugel in seiner Karriere aus dem Ring gewuchtet, in seinem derzeitigen Job dagegen ist er ein Anfänger. "Am 23. September 96, morgens um zehn, habe ich mein Reisebüro eröffnet", sagt Beyer mit sichtlichem Stolz. "Der Laden läuft nicht schlecht, ich habe die gleichen Probleme und Startschwierigkeiten wie jeder Jungunternehmer. Mein Antrieb ist es, anderen Leuten Freude zu bereiten, auch mal eine Buchung abzuschließen, die die Konkurrenz nicht zuwege gebracht hat." In seiner alten Branche, dem Sport, hat er inzwischen eine Klientel, die zu schätzen weiß, daß sich jemand mit dem "entsprechenden geistigen Knowhow" um ihre Belange kümmert. "Die Werfer haben die Reisen für ihre Trainingslager alle bei mir gebucht", erzählt Udo Beyer. "Man kann eben in ein normales Reisebüro gehen, oder zu jemandem, der weiß, worauf es ankommt. Für Sportler ist es eben wichtig, gut trainieren zu können, verpflegt und physiotherapeutisch betreut zu werden, und schließlich ein Bett zu haben, wo man sein Haupt niederlegen kann. Ein teures Quartier, das zwei Stunden von der Trainingsstätte entfernt ist, nützt gar nichts", plaudert Beyer aus seiner Reisebüro-Schule.

Er hat Spaß an seinem Job, auch, wenn er weiß, "daß heute nichts mehr für das Leben ist". Er denke in Abschnitten, "und der jetzige hat gerade erst angefangen". Die kleine 7,25-Kilo-Eisenkugel hat er nun mit der weitaus größeren des Erdballs getauscht, und dabei erstaunliche Ähnlichkeit entdeckt. "Es ist wie im Kugelstoßen: Man kann überall seine Grenzen ausloten."

Klaus Weise

Daten zu Udo Beyer

Udo Beyer
  • geboren: 9. August 1955 in Eisenhüttenstadt
  • Größe: 1,96 m
  • Gewicht: 130 kg
  • Beruf: Diplomsportlehrer, Reiseverkehrskaufmann
  • Tätigkeit: Inhaber eines Reisebüros in Potsdam
  • Familienstand: verheiratet, zwei Töchter: Katja (*1980), Sophia (*1990 - †2001 - benannt nach der griechischen Speerwerferin Sophia Sakorafa)
  • Hobbies: Arbeiten

Wichtige sportliche Erfolge

Spartakiadesieger 1972, Junioren-Europameister 1973, viermaliger Olympiateilnehmer: 1976 Olympiasieger, 1980 Olympiadritter, 1988 Olympiavierter, 1992 im Vorkampf gescheitert; Europameister 1978 und 1982, Dritter bei Europameisterschaft 1986, je dreimal Weltcup- und Europacupsieger, dreimaliger Weltrekordler: 22,15 m (1978), 22,22 (1983) und 22,64 m (1986), elfmal in ununterbrochener Folge DDR-Meister im Kugelstoßen 1977 bis 1987.